Quo vadis, Deutschland?
Liebe Leserinnen und Leser,
»Deutschland arbeitet an seiner Abschaffung als Wirtschaftsnation. Es ist höchste Zeit, das Ruder herumzureißen.« So titelte Michael Rasch, Frankfurt, seinen Kommentar in der Neue Zürcher Zeitung vom 26. August 2024. Das war wieder so eine Überschrift, die wir in Tageszeitungen, Wirtschaftsmagazinen und auch im Boulevard regelmäßig geliefert bekommen. Deindustrialisierung, sinkende Wettbewerbsfähigkeit, hohe Arbeits- und Energiekosten, fehlende Innovationen und eine überbordende Bürokratie sind dabei die meistgenannten Schlagworte. Entscheidungen, sowohl in der Politik, als auch in vielen Unternehmen getroffen, haben sich, im Nachhinein, als falsch erwiesen.
Dass die Ampel-Koalition am Streit über die richtige Wirtschaftspolitik zerbrochen ist, passt in dieses täglich neu gezeichnete Bild. Ebenfalls dazu passt eine Verrohung der Sprache, die wir in den verschiedensten Talk-Formaten und im laufenden Wahlkampf aktuell erleben können. Da sitzen sich, an Ausbildung und Titeln gemessen, best ausgebildete Menschen gegenüber, die, mit ihrer oft unflätigen Wortwahl, erkennen lassen, dass soziale Kompetenz, Empathie und Wertschätzung nicht zu ihrem Ausbildungsprogramm gehört haben. Gerade solche Eigenschaften sind aber dringend erforderlich, will man Herausforderungen angehen und guten Lösungen zuführen.
Und ja, wir stehen in unserem Land vor großen Herausforderungen. Die werden aber nicht dadurch gelöst, dass die Akteure in den politischen und wirtschaftlichen Prozessen sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben und dabei ihre ganze Energie verbraten, um sich selbst in ein möglichst glänzendes Licht zu stellen. Lösungen werden gefunden, wenn die Herausforderung definiert ist und sich dann willige Menschen zuhören, Argumente austauschen, sich mit einer wertschätzenden Streitkultur auseinandersetzen und damit Lösungen erarbeiten.
Ein paar deutsche Herausforderungen will ich einfach mal in den Raum stellen:
1. Ein »Bürokratie« wiehernder Amtsschimmel, der oft an Reinhard Meys »Einen Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars« erinnert.
2. Eine schreckliche Liebe zum Papier, die dazu führt, dass bei uns oft ein digitales Formular und ein handgeschriebenes Dokument gefordert wird.
3. Ein Bewahrungssyndrom, was zu Aversion gegen Risiken und Skepsis gegen Erneuerungen führt. Massenweise Einwände gegen notwendige Projekte sind alltäglich. Alle müssen bearbeitet werden, bis das Schicksal der letzten, eventuell auf der Baustelle lebenden Fledermaus geklärt ist.
4. Die Liebe zu ausufernden Debatten. Wo pragmatische Lösungen gefragt wären, verlieren wir uns oft in Diskussionen, die aber sehr oft in Disputen enden.
Jetzt gibt es tatsächlich eine kleine positive Nachricht. Entgegen aller Erwartungen, ist das deutsche Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal 2024 um 0,2 % gewachsen. Vermutlich nur ein Ausreißer, kommentieren viele Medien; da ist sie wieder, die German Angst.
Liebe Leserinnen und Leser, etwas verspätet, aber von Herzen wünsche ich Ihnen ein erfolgreiches, gesundes 2025. Bemühen wir uns, mehr über die Chancen nachzudenken, als über die Risiken zu jammern. Das Nachdenken birgt eine Chance, das Jammern erhöht das Risiko.
Ivan Karl Werner Sterk,
Herausgeber
Deutsche Molkerei Zeitung