Seit 1879 Lebensmittelindustrie und Milchwirtschaft

Milchwirtschaft in unsicheren Zeiten

29. Juni 2022

Preisanstieg für Milchprodukte auf Verbraucherebene noch nicht vorüber – Explodierende Produktionskosten belasten Erzeuger und Molkereien – Russischer Gasstopp würde die Molkereibranche hart treffen – Kaum Alternativen verfügbar – Mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit von Politik gefordert – Hochwald nimmt modernste Molkerei in Europa offiziell in Betrieb

Selten zuvor hat die Milchwirtschaft in Deutschland so stürmische Zeiten erlebt wie derzeit. Dies wurde auf der Halbjahrespressekonferenz der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Nordrhein-Westfalen (LV Milch) in Mechernich deutlich. Die Corona-Pandemie, Lieferkettenprobleme, ein historischer Preis- und Kostenanstieg, Nachhaltigkeitsforderungen und nun auch noch ein drohender Gasstop infolge des Ukraine-Krieges sind dabei die Themen, die laut LV-Geschäftsführer Dr. Rudolf Schmidt derzeit die Branche besonders bewegen. Auf Seiten der Milcherzeuger sei zwar positiv zu verbuchen, dass aufgrund rückläufiger Anlieferungen die Milchpreise in Nordrhein-Westfalen in den ersten vier Monaten 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 33 % auf das historisch hohef Niveau von gut 43 Cent/kg gestiegen seien und noch weiter zulegen dürften. Jedoch werde dies von den ebenfalls rasant gestiegenen Produktionskosten größtenteils „wieder aufgefressen“. Besonders bei den Erzeugerpreisen für Biomilch, die bislang mit 8,5 % nur unterdurchschnittlich zugelegt hätten, gebe es noch Nachholbedarf. Auch auf der Verbraucherstufe sei die Teuerung deutlich zu spüren, allerdings mit Unterschieden bei den Produkten. Während beispielsweise der Butterpreis in den Läden wegen kurzer Kontraktlaufzeiten schnell nach oben gegangen sei, dürften bei anderen Erzeugnissen, wie Käse oder Trinkmilch, weitere Anpassungen nach oben noch folgen. Bei einigen Produkten merke man aber schon jetzt, so Schmidt, dass der Absatz höherpreisiger Ware darunter leide. So seien im bisherigen Jahresverlauf die Zuwachsraten bei den Einkäufen von Bio- oder Weidemilch längst nicht mehr so hoch oder stagnierten sogar. „Aufgrund der Verbraucherreaktion in Zeiten der Inflation geraten höherpreisige Produkte unter Druck“, stellte Schmidt fest. Man fahre lieber in den Urlaub, als das Geld für Nahrungsmittel auszugeben. Dies könne in Krisenzeiten auch dazu führen, dass sich die Vorgaben des Handels zu höheren Haltungsstufen zeitlich nach hinten verschieben.

Milchwirtschaft am Gunststandort halten

Neben der Preisexplosion geben laut Schmidt auch die Spekulationen über die zukünftige Verfügbarkeit von bestimmten Produkten wie Dünger, Gas oder gentechnikfreien Futtermitteln Anlass zur Sorge. Hinzu komme, dass die Klima- und Tierwohldiskussion weitere Fragen in punkto Wettbewerbsfähigkeit aufwerfe. „Die Erzeuger sind wegen der Auflagen in Sorge“, berichtete der westfälische Vorsitzende der LV Milch, Benedikt Langemeyer. Es gebe einen Investitionsstau wegen fehlender Planbarkeit und Verlässlichkeit der Politik. Beispiel sei das Kälbertransportverbot für Tiere unter 28 Tagen, welches völlig überraschend erlassen worden sei und mangels Anpassungszeiten und Stallkapazitäten zu Problemen auf den Höfen führe. Langemeyer wies darauf hin, dass die Milcherzeugung am Gunststandort in Deutschland im internationalen Vergleich effizient und klimaschonend erfolge. Sie dürfe deshalb nicht zurückgedrängt und ins Ausland verlagert werden, sondern müsse vielmehr als Vorbild zum Nachmachen dienen. Auch nach Ansicht des rheinischen LV Vorsitzenden Hans Stöcker lastet die Unsicherheit auf den Milcherzeugerbetrieben. Die Politik müsse „auf das Wesentliche und die Realität zurückkommen“. Dazu gehörten die Sicherung der Nahrungsmittelproduktion und Lieferketten und weniger das Vorschreiben von Haltungsformen. Eine Abwanderung der Produktion, so Stöcker, sei die am wenigsten nachhaltige Konsequenz.

Damoklesschwert Gas

Der Molkereiwirtschaft in Deutschland bereitet die Gasknappheit oder gar ein kompletter Lieferstopp aus Russland Kopfzerbrechen. Laut Schmidt sind rund 80 % der Molkereien vom Energieträger Gas abhängig. Alternativen wie Blockheizkraftwerke, Biogas oder fossile Brennstoffe würden geprüft. Doch sei ein Umstieg auf andere Energieträger oft nicht möglich oder wenn, dann nur wegen baulicher Veränderungen mit längerer Vorlaufzeit. Zudem seien bei einer Umrüstung die Regeln des Bundesimmissionsschutzgesetzes zu beachten, wofür es Ausnahmegenehmigungen geben müsse. Laut Langemeyer, der auch Mitglied des Aufsichtsrates bei der DMK ist, sind die Alternativen sehr begrenzt. „Wir brauchen als systemrelevante Branche Gas, sonst ist die Produktion nicht leistbar“, betonte Langemeyer. Auch Stöcker als Vorstandsmitglied bei FrieslandCampina stellte klar, dass sich viele Werke nicht umstellen ließen. Der Vorstandsvorsitzende der Hochwald Milch eG, Peter Manderfeld, betonte, dass auch die Vorlieferanten der Molkereien beim Gas als systemrelevant eingestuft werden müssten, denn ohne deren Produkte, wie beispielsweise Verpackungen, könne auch die Molkerei nicht arbeiten. Es gelte die Versorgungssicherheit in der gesamten Lieferkette zu erhalten.  

Zukunftsmolkerei in Mechernich

Manderfeld sieht aber auch positive Entwicklungen in der Branche, wozu neben der gestiegenen Wertschätzung für die Landwirte als unverzichtbare Nahrungslieferanten vor der Haustür für ihn auch der Bau des europaweit modernsten Molkereiwerkes von Hochwald in Mechernich gehört. Die Produktionsstätte wurde nach nur zweieinhalb Jahren Bauzeit offiziell in Betrieb genommen. „Wer in die Zukunft schaut, der baut“, erklärte Manderfeld. In der neuen Produktionsanlage könnten jährlich 800 Mio kg Milch verarbeitet werden, was den fast 2 400 genossenschaftlichen Milchlieferanten der Molkerei mit einem Umsatz von zuletzt 1,6 Mrd Euro Zukunftsperspektiven biete. Nachhaltigkeit, Tierwohl und das Bewahren der Umwelt seien keine Gegensätze, sie seien Grundvoraussetzung um die anstehenden Herausforderungen zu meistern, so Manderfeld. In dem hochmodernen Werk können in einer 18 000 m2 großen Produktionshalle in 17 Abfüllanlagen mit hohem Automatisierungsgrad kostengünstig verschiedene Produkte aus UHT-Milch unter hohen Umweltstandards hergestellt werden. AgE

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