Staatliche Tierhaltungskennzeichnung nimmt erste Hürde
Kabinett beschließt Gesetzentwurf – Kaum Veränderungen zur vielkritisierten Vorlage des Bundeslandwirtschaftsministeriums – Verbändeeinwände bleiben zunächst unberücksichtigt – Koalition kündigt Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren an – Özdemir: Wichtiger Schritt hin zu einer zukunftsfähigen Tierhaltung – DBV und DRV enttäuscht
Die Bundesregierung hält trotz der im Vorfeld geäußerten Kritik an ihren Plänen für eine staatliche Tierhaltungskennzeichnung fest. Der am vergangenen Mittwoch (12.10.) vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf entspricht weitgehend dem Referentenentwurf, den das Agrarressort Ende Juli vorgelegt hatte und der auf breite Ablehnung gestoßen war. Allerdings kündigten Politiker der Ampelkoalition Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren an. Dabei soll die Verständigung Berücksichtigung finden, die SPD, Grüne und FDP in der vorletzten Woche erzielt hatten. Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Carina Konrad, sprach im Zusammenhang mit der Kabinettsvorlage von einer „ersten Diskussionsgrundlage“. Sie diene dazu, schnell das weitere Beratungsverfahren einzuleiten. Der Bundestag soll noch in diesem Jahr in Erster Lesung über den Gesetzesentwurf beraten. Dessen ungeachtet übten Verbände erneut scharfe Kritik an der Vorlage. Sie weise deutliche Schwachstellen und Lücken auf, mit denen die angestrebte Wirkung nicht nur verfehlt, sondern in Teilen sogar konterkariert werde, erklärte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied. Für den Präsidenten des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV) Franz-Josef Holzenkamp, steht der Gesetzesvorschlag in Widerspruch zu den vollmundigen Ankündigungen: „Dieses Gesetz gehört in die Kategorie: Der Berg kreißte und gebar eine Maus.“
Weitere Bausteine
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bezeichnete den Gesetzentwurf hingegen als „wichtigen Schritt hin zu einer zukunftsfähigen Tierhaltung“. Nachdem jahrelang über die Kennzeichnung gestritten und eine gesetzliche Regelung lediglich angekündigt, aber nie umgesetzt worden sei, komme man nun endlich voran. „Wir setzen jetzt die staatlich verpflichtende und eben nicht nur freiwillige Tierhaltungskennzeichnung tatsächlich um“, so der Minister nach der Kabinettsentscheidung. Mit der Haltungskennzeichnung gebe es bald endlich eine echte und verlässliche Wahl für mehr Tierwohl, „an der Fleischtheke, am Kühlregal oder im Online-Handel“. Sein Ministerium arbeite nun an den weiteren Bausteinen für die künftige Tierhaltung, einem Förderkonzept für den Umbau hin zu tiergerechteren Ställen, an Veränderungen im Bau- und Genehmigungsrecht sowie an besseren Regeln im Tierschutzrecht.
Teil eines Puzzles
Die agrarpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, beschrieb die verbindliche Tierhaltungskennzeichnung als „Teil eines Puzzles bis hin zu einer Novelle des Tierschutzgesetzes, einer Herkunftskennzeichnung und einer Neuausrichtung der Gemeinschaftsverpflegung“. Der Umbau der Ställe in ganz Deutschland könne damit bald beginnen. Ein weiterer Schritt sei, das Baurecht zügig so zu ändern, „dass der Umbau der Ställe vereinfacht wird und eine Anschubfinanzierung zum Umbau und Betrieb moderner Tierhaltungen auf den Weg gebracht wird“. Daneben sei vereinbart worden, das Tierschutzrecht zu reformieren. Künast: „Es gibt einige Lücken beim grundgesetzlich verankerten Schutz der Tiere, die geschlossen werden müssen.“
Keine zusätzlichen Auflagen
FDP-Fraktionsvize Konrad verwies auf die Verständigung innerhalb der Koalition, dass sich das staatliche Label an den Stufen der schon im Handel befindlichen Kennzeichnung orientieren müsse. „Diese im Entwurf noch nicht entsprechend berücksichtigten Anforderungen wird die Koalition nun im parlamentarischen Verfahren umsetzen“, versicherte die FDP-Politikerin. Fraktionskollege Dr. Gero Hocker nannte es überfällig, „dass mit einem Haltungskennzeichen für den Verbraucher endlich mehr Transparenz erreicht wird und den Forderungen nach höheren Standards endlich auch entsprechende Kaufentscheidungen folgen können“. So werde sich zeigen, „ob die angebliche Bereitschaft, für höhere Standards einen entsprechenden Preis zu bezahlen, auch in die Tat umgesetzt wird“. Entscheidend werde vor allem aber sein, „dass die Landwirtschaft keine zusätzlichen Auflagen erfüllen muss, die ihre Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Vergleich reduzieren würden“. Außerdem müssten mit einer Novelle des Baugesetzbuches endlich die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass Investitionen durch die Kommunen überhaupt genehmigt werden könnten.
Union befürchtet Marktverschiebung
Kritik kam von der Opposition. Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, bezeichnete den Gesetzentwurf als lückenhaft. Werde er so umgesetzt, führe dies zu einer Verschiebung des Marktes, „weg vom hochwertigen Schweinefleisch aus unseren Regionen hin zu billiger Importware“. Zudem ist das vorgesehene Verfahren zur Anzeige und Registrierung von Betrieben aus Stegemanns Sicht unnötig bürokratisch und aufwändig. Erhebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber ausländischen Konkurrenten erwartet der agrarpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Protschka, durch die Beschränkung der Kennzeichnung auf inländisches Fleisch. Das schade den ohnehin finanziell angeschlagenen heimischen Schweinehaltern. Gleichzeitig habe es gegenüber den bereits bestehenden privatwirtschaftlichen Tierschutzinitiativen keinerlei Mehrwert, so Protschka.
Empfehlungen auf dem Tisch
Für DBV-Präsident Rukwied ist unverständlich, dass die bereits in der Verbändeanhörung vorgebrachten Einwände gegen einen Teil der vorgesehenen Regelungen noch nicht aufgegriffen worden sind. Da beispielsweise die Sauenhaltung nicht berücksichtigt werde, könnten betäubungslos kastrierte Ferkel weiter aus dem Ausland in den heimischen Markt importiert werden und würden dennoch das Tierwohllabel erhalten. Zudem drohe noch mehr unnütze Bürokratie für die Betriebe, weil weder ein Anschluss an vorhandene amtliche Meldesysteme noch an private Qualitätssicherungssysteme hergestellt werden solle. Nach Einschätzung von DRV-Präsident Holzenkamp führt das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz in der vorliegenden Form weder zu mehr Tierwohl, noch bringt es die Transformation der deutschen Nutztierhaltung voran. Dies sei für den Deutschen Raiffeisenverband umso enttäuschender, als die Empfehlungen der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) auf dem Tisch lägen, die aufgegriffen und weiterentwickelt werden könnten. „So gelingt die Transformation nicht, und wir kommen keinen Schritt weiter“, warnte Holzenkamp.
Schwerer struktureller Schaden
Kein gutes Haar ließ auch die Initiative Tierwohl (ITW) an dem Gesetzentwurf. Nach wie vor werde nur ein Teilbereich des Marktes erfasst, nämlich frisches Fleisch vom Mastschwein aus dem Inland, wenn es im Lebensmitteleinzelhandel, den Metzgereien oder im Onlinehandel verkauft werde. Der Verkauf von Wurst und Schinken sowie die Speisen in der Gastronomie würden hingegen nicht berücksichtigt. „Damit bleiben mehr als zwei Drittel des Schweinefleischabsatzes aus Deutschland kennzeichnungsfrei“, so die ITW. Zudem würden die Geburt und Aufzucht der Schweine ebenso wenig wie andere Tierarten, also Rind und Geflügel, mit einbezogen. „Diese Differenzierung zwischen frischem Schweinefleisch und Fleisch anderer Tierarten führt zu einer fortschreitenden Verschiebung des Marktes weg vom Schweinefleisch und fügt damit der Schweinehaltung in Deutschland schweren strukturellen Schaden zu“, warnte die Initiative. Weiterhin nicht vorgesehen sei eine planmäßige, strukturierte, regelmäßig wiederkehrende Überwachung der teilnehmenden Betriebe. Damit liege die staatliche Tierhaltungskennzeichnung deutlich hinter den privatwirtschaftlichen Standards und Systemen, die für regelmäßige neutrale Kontrollen bereits zu Beginn der Teilnahme, also auch vor der Nutzung von Kennzeichen, stünden.
Nachteile im Wettbewerb
„Würde die laxe Überwachungspraxis des geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes in Kraft gesetzt, gefährdet dies die vielfältigen Standards und Systeme der Wirtschaft in ihrem Fortbestand“, befürchtet die ITW. Ferner sei das im Entwurf vorgesehene Verfahren zur Anzeige und Registrierung von Betrieben bürokratisch und aufwändig. Bestehende Kennnummern und Datenbanken würden nicht genutzt. Stattdessen müssten die zuständigen Behörden „mit unzähligen Stellen“ aufgestockt werden, um den Prozess zu bewältigen. Schließlich drohten durch die Beschränkung der Kennzeichnungspflicht auf inländische Lebensmittel tierischen Ursprungs erhebliche Nachteile im Wettbewerb mit Tierhaltern und Ware aus dem Ausland. Weite Teile des Lebensmittelangebots, die im Ausland hergestellt würden, blieben hierzulande unberücksichtigt und könnten so gegebenenfalls unter niedrigeren Standards produziert und ohne Kennzeichnung vermarktet werden.
Bio-Stufe folgerichtig
Gemischt fielen hingegen die Reaktionen aus dem Tierschutz und dem Ökolandbau aus. Während sich der Deutsche Tierschutzbund enttäuscht zeigte, begrüßte Provieh Verbesserungen gegenüber dem Referentenentwurf. Zufrieden äußerten sich der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sowie Bioland. „Dass bei der geplanten Kennzeichnung Bio eigenständig erkennbar sein soll, ist richtig“, betonte der geschäftsführende Vorstand des BÖLW, Peter Röhrig. Bio sei der höchste europäisch geregelte gesetzliche Standard für artgerechte Tierhaltung und werde von zehntausenden Bäuerinnen und Bauern mit innovativen Ställen, viel Auslauf und Biofutter praktiziert. Die flächengebundene Tierhaltung sorge dafür, dass nur so viele Tiere auf der Fläche gehalten würden, wie für den Boden gut sei. Dies habe zudem positive Effekte für Klimaschutz und saubere Gewässer. Bioland-Präsident Jan Plagge nannte eine eigene Bio-Stufe folgerichtig. Bislang ungeklärt sei die Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung. Die bereitgestellten 1 Mrd Euro für die nächsten vier Jahre würden bei weitem nicht ausreichen. Offen sei auch noch, wie die zur Verfügung stehenden Mittel dann letztlich verteilt werden.
Lediglich Status quo
„Die Tierhaltungskennzeichnung bildet lediglich den Status quo ab“, kritisierte Tierschutzpräsident Thomas Schröder. Der vorgelegte Gesetzentwurf bringe keinerlei substanziellen Fortschritt. „In der Realität wird alles auf die Verbraucher abgeschoben, die mit ihrem Einkauf das zu schwache Ordnungsrecht korrigieren sollen“, so Schröder. Eine von der Bundesregierung gewollte Dynamik hin zu mehr Tierschutz sei nicht erkennbar. Die Kriterien seien zu schwach, entscheidende Bereiche wie Transport und Schlachtung blieben unangetastet, und bisher beziehe sich alles auch nur auf die Haltung von Schweinen. Demgegenüber verwies Prohvieh auf zwei Verbesserungen gegenüber dem Referentenentwurf. Zum einen werde in der Kennzeichnung nun die Bodenbeschaffenheit von Schweineställen berücksichtigt. Zum anderen sei die Grundstruktur angelegt, um die Kennzeichnung nicht nur für Mastschweine, sondern im nächsten Schritt auch für die Ferkel- und Sauenhaltung einzuführen und somit die Haltung während des gesamten Tierlebens abzubilden. Die Tierschutzorganisation appellierte an die Politik, einen konkreten Zeitplan für das weitere Vorgehen vorzulegen und auch die Folgeschritte schnell umzusetzen. AgE