Seit 1879 Lebensmittelindustrie und Milchwirtschaft

Milch für starke Knochen: Stimmt´s oder stimmt´s nicht?

16. Dezember 2021

Wir befinden uns in einer Zeit der Widersprüche. In einer Zeit, in der es für jede Behauptung scheinbar einen triftigen Grund gibt, der alles bisher Gesagte und Geglaubte auf den Kopf zu stellen vermag. Beim Thema Milch ist dies zweifelsohne die immer öfter aufkommende Aussage, sie würde unsere Knochen regelrecht entkalken, anstatt sie zu mineralisieren. Wie konnte es dazu kommen und ist da womöglich etwas dran?

Zunächst sollte in ein paar Sätzen das Basiswissen über den Knochenstoffwechsel vorliegen, denn dieses ist in einigen Fällen medialer Berichterstattung offensichtlich nicht vorhanden. Knochen sind, trotz ihres augenscheinlich stillen und beständigen Daseins, lebhafte Gebilde. Ab der Stunde der Geburt beginnt der Mineralisierungsprozess unter dem Einfluss von Wachstumshormonen, Mineralstoffen und Vitamin D. Hier dient bereits die Muttermilch als wertvolle Quelle zur Versorgung mit nahezu sämtlichen benötigten Baustoffen, abgesehen von Vitamin D. Auch wenn hier Ziegenmilch punkten könnte und daher eine Hausziege in ruralen Entwicklungsregionen keine Seltenheit ist, ist die Anreicherung von Säuglings- und Kleinkindnahrung mit Vitamin D also mit gutem Grund angezeigt.

Lebertran war früher einmal, doch schon damals war man sich der essentiellen Bedeutung von Vitamin D für ein gesundes Knochenwachstum zu Beginn des Lebens bewusst. Der Mineralisierungsprozess hält bis zum jungen Erwachsenenalter an, wo er sein Maximum erreicht. Man spricht von der „Peak-Bone-Mass“, der maximalen Knochendichte. Ist diese mit Mitte zwanzig erreicht, überwiegen die Abbauprozesse im Knochen, die dann umso mehr einem hormonellen und lebensstilbezogenen Einfluss unterliegen. Der Körper verringert kontinuierlich die Produktion von Wachstums- und Geschlechtshormonen, sodass die Aufbauprozesse im Knochen ebenfalls abnehmen. Die Abbauprozesse lassen sich durch eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D, Calcium und insbesondere Belastung der Knochenstrukturen durch Bewegung und Kräftigung zwar verlangsamen, aufhalten können wir sie jedoch nicht. Daher gilt der Spruch „Was man hat, das hat man“ im speziellen für die Knochengesundheit. Je mehr Knochensubstanz bis zur „Peak-Bone-Mass“ aufgebaut wurde, desto länger kann der Körper von ihr zehren. Sie dient schließlich ein Leben lang auch als Reservelager für die Mineralstoffe Calcium und Phosphat, die eine wichtige Rolle zur Aufrechterhaltung zahlreicher überlebenswichtiger Körperfunktionen erfüllen.

In diesem Zusammenhang wird bereits klar, dass eine ausreichende Versorgung des Organismus mit Calcium im Kindes- und Jugendalter immense Bedeutung für die Knochengesundheit hat. Laut dem 13. Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung erreichen im Mittel nur 81 % der Jungen und Mädchen im Alter von einem bis zwölf Jahren die D-A-CH Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. In der Altersklasse der Personen zwischen zwölf und achtzig Jahren sind es ebenfalls nur 80 % der Männer und Frauen. Die mengenmäßig bedeutendsten Calciumquellen sind sowohl für Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene Milch und Milchprodukte. Bei den Jugendlichen und Erwachsenen machen sie bis zu 50 % der täglichen Calciumzufuhr aus (siehe Abb. 1 – Quelle: Nationale Verzehrstudie 2).

Milch für ausgewogene Ernährung unabdingbar

Gleichwohl nehmen laut der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ des Robert Koch-Institutes etwa die Hälfte der Jungen und Mädchen weniger Milch und Milchprodukte zu sich als empfohlen. Durch den vermeintlich mit Gesundheitsvorteilen beworbenen Verzicht auf Milch und Milchprodukte im Rahmen einer veganen Ernährung oder von Trend-Diäten vergrößert sich zusätzlich das Risiko einer Unterversorgung und somit verminderten Knochenmineralisierung bei Kindern und Jugendlichen. Hierbei sei betont, dass Milch und Milchprodukte niemals die einzigen Calciumlieferanten darstellen, jedoch die mengenmäßig wichtigsten und am besten verfügbaren Quellen im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung. Jegliche alternative Ernährungsform bedarf einer gewissen Kenntnis der Lebensmittelauswahl, um eine ausreichende Versorgung mit Calcium sicherstellen zu können.

Welche Rolle spielt nun die Versorgung mit Calcium und Vitamin D für die Knochengesundheit? Ausschlaggebend für eine valide Aussage dazu sind nicht nur die über Verzehrstudien ermittelten Calciummengen und Vitamin D-Gehalte in der Ernährung, sondern die im Blut messbaren Konzentrationen beider Nährstoffe. Als Endpunkt für „gesunde Knochen“ wird das Knochenbruchrisiko angesehen, im Falle von Osteoporose im Speziellen die Häufigkeit von Oberschenkelhalsbrüchen. Die Begründung liegt einmal in den individuell höchst unterschiedlich verlaufenden Biografien, die zur Bildung der „Peak-Bone-Mass“ führen, wie auch in den Alltagsrisiken, die letztlich zum Ereignis eines Knochenbruchs führen können.

Fakt ist unweigerlich, dass jeder Knochen brechen kann, egal in welchem Alter und in welcher Beschaffenheit er ist. Sturzvorbeugung durch körperliche Fitness und eine vorausschauende Alltags-Infrastruktur trägt bereits zu einer deutlichen Risikominderung für Knochenbrüche bei. Eine fortgeschrittene Entmineralisierung bis hin zum diagnostizierbaren Krankheitsbild der Osteoporose erhöhen das Risiko für einen Knochenbruch dagegen in erheblichem Ausmaß, sodass dann insbesondere der Oberschenkelhalsknochen bereits durch seine statische und dynamische Beanspruchung in der Körpermechanik einem erhöhten Bruchrisiko ausgesetzt ist. Weltweit existieren vereinzelt Datensätze zu den Gehalten von Calcium und Vitamin D im Blut, die in den Abb. 2 und 3 dargestellt sind. Je dunkler die Färbung, desto besser.

Außerdem existieren Aufzeichnungen über das normierte Knochenbruchrisiko sowie die Häufigkeit von Oberschenkelhalsbrüchen, wie sie in den Abb. 4 und 5 dargestellt sind. Je dunkler hier die Färbung, desto höher das Risiko bzw. die Häufigkeit. Was sich hier lohnt, ist ein näherer Blick auf die skandinavischen Länder, da sich hier die Ursache für Falschmeldungen über die angebliche „entkalkende“ Wirkung von Milch und Milchprodukten offenbart und gleichzeitig die Komplexität der Knochengesundheit offengelegt wird.

Eine von Michaellson et al. 2015 veröffentlichte Studie aus Schweden brachte es zu einem großen Medienecho, da sich in der Analyse ein Zusammenhang zwischen einem erhöhten Risiko für Oberschenkelhalsbrüche bei Frauen und dem Milchkonsum (Trinkmilch) berechnen ließ. Für fermentierte Produkte tauchte dieser Zusammenhang nicht auf, woraufhin spekuliert wurde, dass möglicherweise die im Milchzucker enthaltene Galaktose eine bedeutende Rolle spielen könne. Zunächst existierten auch dafür keine Befunde, die einen kausalen Zusammenhang mit dem Konsum von Milch oder Milchprodukten herstellen können. Nichtsdestotrotz jubelten Tierschützer und Veganer ob der vermeintlich knochenschädigenden Wirkung von Trinkmilch, die wohlgemerkt nur bei Frauen auftrat. Was war da in Schweden passiert?  Finnland führt mit einem Konsum von Milch und Milchprodukten von 430 kg/Kopf die Top 15 der weltweiten Hitliste des Konsums an und Schweden liegt mit 341 kg/Kopf auf Platz vier, knapp hinter den Niederlanden und Montenegro (Abb. 6).

Ein Blick auf die Landkarten verrät, dass bei einem derartigen Milchkonsum kein Mangel an Calcium besteht, im Gegenteil, die skandinavischen Länder sind weltweit mit am besten versorgt. Auch Vitamin D darf dort zugesetzt werden, sodass ebenso der Vitamin D-Spiegel im Blut hervorragend ist. Gleichzeitig weisen diese Länder jedoch die höchsten Raten an Oberschenkelhalsbrüchen auf und auch ein insgesamt hohes Knochenbruchrisiko. Was hingegen auffällt ist, dass insbesondere auf der Südhalbkugel und auch teilweise in den gemäßigteren Breiten der Nordhalbkugel trotz eines in einzelnen Fällen suboptimalen Calcium- oder Vitamin D-Status das Risiko für Knochenbrüche oder einen Oberschenkelhalsbruch im Vergleich zu den skandinavischen Ländern dennoch geringer ist. In der schwedischen Studie, auf der die allgemeine Hysterie der knochenschädlichen Milch seither fußt, wurden zudem in den Jahren 1987 bis 1990 Frauen zwischen 39 und 74 Jahren rekrutiert, was weiter zur Verzerrung des Studienergebnisses führt.

Wie dargestellt, ist für die Knochenmineralisierung der Lebenszeitraum bis Mitte zwanzig relevant und gäbe Aufschluss darüber, ob der jeweilige Milchkonsum die Knochenbruchrate positiv oder negativ beeinflusst haben könnte. Wie sich außerdem unschwer erkennen lässt, befinden sich die Studienteilnehmerinnen in einer hormonellen Umbruchphase, die bekanntermaßen auch Einfluss auf die Knochenmineralisierung nimmt. Insgesamt ergibt sich aus dem Studienergebnis daher nur eine mögliche Schlussfolgerung: Weibliche Studienteilnehmer weisen trotz erhöhten Milchkonsums ein erhöhtes Knochenbruchrisiko auf. Über die Ursachen kann nur spekuliert werden.

Ohne Calcium keine Knochen

In Anbetracht der dennoch hervorragenden Versorgung mit Calcium und Vitamin D wäre eine weitere Schlussfolgerung, dass neben der Ernährung auch weitere lebensstilbezogene sowie genetisch und geschlechtsspezifische Faktoren in die Prävention für mehr Knochengesundheit einbezogen werden müssten. Nur so ist es auch zu erklären, dass weltweit betrachtet eben nicht nur der Calcium- und Vitamin D-Status ausschlaggebend für das Knochenbruchrisiko ist, sondern eben die jeweils vorherrschenden Lebensbedingungen. Milch und Milchprodukte, und das bleibt unter dem Strich übrig, stellen dabei jederzeit eine wichtige Quelle zur täglichen Versorgung mit Calcium dar und ohne Calcium gibt es auch keinen Knochen. Letzteres zumindest ist wissenschaftlich bis heute nicht widerlegt.

Und zu guter Letzt noch ein Hinweis. Wenn Sie all diese Fakten dargelegt haben, wird als letzter Versuch in der Regel noch eine Übersäuerung des Körpers durch Milch als Argument herangezogen, wodurch die Knochen regelrecht „ausgewaschen“ werden. Wenn Milchkonsum unser Blut derart übersäuern könnte, dass es unserem Körper gefährlich sauer wird, wären die Intensivstationen weltweit rund um die Uhr damit beschäftigt, von Säuglingen bis Senioren sämtliche Menschen zu reanimieren, die jemals einen Schluck Milch getrunken haben. Unser Blut-pH-Wert wird in einem äußerst engen Rahmen gehalten, da sonst die gesamte Körperchemie aus der Balance gerät – mit ernsthaften bis zu tödlichen Folgen. Überschüssige Säure wird beim gesunden Menschen völlig normal über die Nieren ausgeschieden. So lassen sich im Urin auch unterschiedliche pH-Werte messen, die neben anderen Faktoren auch mit der Nahrungszusammensetzung in Verbindung stehen. Eiweißzufuhr führt im Stoffwechsel zwar zu Säurebildung, sodass dementsprechend bei eiweißhaltigen Lebensmitteln auch die Säureausscheidung über den Urin ansteigt, unabhängig ob es sich um pflanzliche oder tierische Lebensmittel handelt. Das ist völlig normal, einzig Menschen mit Nierenerkrankung müssen sauber ihre Nahrungsaufnahme bilanzieren, um eine Übersäuerung aufgrund der mangelhaften Nierenfunktion zu vermeiden. Dass sich Gerüchte um die „übersäuernde“ Wirkung von Milch und ebenso Fleisch seit Jahrzehnten halten, ist dem erfolgreichen Marketing alternativmedizinischer Kreise zu verdanken und einer Nahrungsergänzungsmittelindustrie, die an „basenbildenden“ Präparaten gut verdient. Solange dies nur den Geldbeutel der frei entscheidenden Konsumenten schröpft, liegt es wohl in der eigenen Verantwortung das Für und Wider der Säure-Base-Ernährung abzuwägen, doch wenn dadurch ein jahrtausendaltes Grundnahrungsmittel wie Milch und Milchprodukte in Verruf gebracht wird, bedarf es einer umfassenden Aufklärung. Doch das ist noch ein ganz anderes Thema, in Zeiten von Desinformation und Meinungsmache.

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