Seit 1879 Lebensmittelindustrie und Milchwirtschaft

Mythos oder Fakt? »Fleisch verkürzt das Leben«

27. März 2023

In diversen wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen wird der Narrativ entwickelt, dass Fleisch für negative Gesundheitsfolgen wie zum Beispiel Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen verantwortlich ist. Kurz: Wer weniger Fleisch isst, lebt gesünder und damit länger. Stimmt das?

Zunächst steht fest: Wer gar kein Fleisch isst, lebt deshalb nicht ewig. Dieser logische Umkehrschluss deutet bereits an, dass die Lebenserwartung des Menschen vielfältigen Einflüssen unterliegt, nicht zuletzt unserer biologisch begrenzten Lebensdauer. Doch fangen wir von vorne an.

Fleisch – ein historisches Streitthema

Fleisch war schon immer ein Lebensmittel, an dem sich die Geister geschie-den haben. Sicherlich, solange der Alltag des Frühmenschen von der ständigen Suche nach etwas Essbarem geprägt war, wurde nicht lange diskutiert, ob es ethisch zu verantworten sei, ein Tier zu töten, um dessen Fleisch zu essen. Doch spätestens in der Antike, so ist es überliefert, entwickelte sich eine philosophische Denkschule mit Vertretern wie Pythagoras oder Platon, die aus ethischen Motiven für eine fleischfreie Ernährung plädierten. Ebenso zu dieser Zeit entwickelten sich auch religiöse Motive für den Verzicht auf Fleisch, wie am Beispiel des Buddhismus zu erkennen ist. Unabhängig vom kulturellen oder geographischen Raum war und ist Fleisch als Lebensmittel und damit verbunden eine Debatte über das Töten von Tieren für die menschliche Ernährung somit ein Aspekt des menschlichen Erkenntnispro-zesses und -gewinns gewesen. Selbstverständlich existierten dazu auch entsprechende Gegenströmungen jeglicher Art: Religionen, die das Opfern von Tieren vorschreiben. Philosophische Denkschulen wie der Utilitarismus, die das Töten von Tieren zum Zweck der Ernährung als legitim betrachten. Landwirtschaftliche Programme, die zur Erzeugung von ausreichend Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung aufgesetzt wurden.

Trotz aller Innovationen für Fleischersatz, veganen oder vegetarischen Ernährungstrends und Prognosen (vorrangig von Investoren für Ersatzfleischprodukte und einschlägigen NGOs) kann festgestellt werden, dass der überwiegende Teil der Menschheit irgendeine Art von Fleisch isst oder gerne Fleisch essen würde. Laut einer Schätzung der Universität Amsterdam leben weltweit ca. 1,5 Mrd. Menschen unfreiwillig vegetarisch. Dem gegenüber stehen laut unterschiedlichen Schätzungen zwischen 6 bis 10 % anteilig an der Bevölkerung, die bewusst auf den Konsum von Fleisch verzichten. Selbst in Indien, das in Debatten über Fleischverzicht oftmals als »vegetarisches Vorbild« genannt wird, unterscheidet sich der Anteil von Vegetariern je nach Bundesstaat zwischen 1 und 75 % der Bevölkerung und der Fleischkonsum steigt auch dort mit zunehmendem Wohlstand stetig an.

 

Fleischkonsum und Lebenserwartung

Wie bis hierher deutlich geworden ist, unterscheidet sich der Fleischkonsum weltweit stark. Je nachdem, welche kulturellen, religiösen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorherrschen. Die erste Frage zur Aufklärung des Mythos »Fleisch verkürzt das Leben« lautet daher: Kann in einem weltweiten Vergleich unterschiedlicher Staaten ein Unterschied in der Lebenserwartung in Abhängigkeit des Fleischkonsums festgestellt werden? Ohne komplexe statistische Modelle bemühen zu müssen, kann bereits eine einfache Analyse der Lebenserwartung in Abhängigkeit vom Fleischkonsum Aufschluss darüber geben, ob überhaupt ein Zusammenhang zwischen beiden Faktoren besteht. Wie in Abbildung A (Daten: FAOSTAT/Weltbank) dargestellt ist, besteht zwischen beiden Faktoren ein durchaus starker Zusammenhang mit einem Bestimmtheitsmaß von 0,50. Das bedeutet, dass 50 % der Varianz der Lebenserwartung zwischen den Staaten durch den unterschiedlichen Fleischkonsum erklärt werden könnte. In diesem Fall: je mehr Fleisch konsumiert wird, desto höher die Lebenserwartung. Natürlich spielen auch noch weitere Faktoren, wie zum Beispiel das pro-Kopf-Einkommen eines Staates, eine wichtige Rolle, weshalb die Lebenserwartung ganz oder teilweise durch parallel auftretende Ereignisse wie etwa eine positive wirtschaftliche Entwicklung beeinflusst sein kann. Daher sind in der Analyse noch weitere Prüfungen notwendig.

Korrelation ist nicht gleich Kausalität

Bei der Frage nach einer Ursache/Wirkung-Beziehung (Kausalität) tut sich die Ernährungsforschung in der Regel schwer, da sich einzelne Lebensmittel oder gar Lebensmittelinhaltsstoffe/Nährstoffe nicht ohne Weiteres aus der Ernährung einer Versuchsgruppe ausschließen lassen, um so einen Vergleich zu einer Kontrollgruppe zu haben, die sämtliche Lebensmittel essen darf. Dies ist zum einen ethisch nicht vertretbar, da Menschen zu Experimentierzwecken nicht einen Nährstoffmangel erleiden dürfen und zum anderen befinden sich die meisten Lebensmittelinhaltsstoffe/Nährstoffe in mehr als einem Lebensmittel, sodass ganze Lebensmittelgruppen für die Versuchsgruppe vom Speiseplan gestrichen werden müssten. Auch das würde das Experiment so stark verzerren, weil die Ernährungsweise dann kaum mehr authentisch sein dürfte, sodass die Ergebnisse praktisch nutzlos sind. Daher werden sogenannte Beobachtungsstudien durchgeführt, bei denen die Ernährungsgewohnheiten, Lebensmittelmengen, Krankheitsgeschehen und weitere Faktoren wie zum Beispiel Bewegung, Rauchen, Bildungsgrad oder das Einkommen aufgezeichnet werden. Hinterher wird versucht, durch statistische Modelle Zusammenhänge (Korrelationen) zwischen den einzelnen Faktoren zu erkennen.
Dabei können alle möglichen Ergebnisse rauskommen und auch in renommierten Fachzeitschriften publiziert werden, was jedoch nicht mit einer praktischen Relevanz für den Ernährungsalltag gleichzusetzen ist. So werden auch teils widersprüchliche Ergebnisse veröffentlicht, die zu noch widersprüchlicheren Schlussfolgerungen führen können. Wie zum Beispiel die Einordnung von rotem Fleisch der Weltgesundheitsorganisation WHO als »wahrscheinlich krebserregend«: Diese basierte auf einer Auswahl von 14 Studien, von denen sieben Studien eine Erhöhung des Risikos für Dickdarmkrebs zeigten und sieben Studien keine Risikoerhöhung ergaben.
Neuere Auswertungen zeigen allenfalls eine minimale bis nicht vorhandene Auswirkung des Konsums von rotem Fleisch auf die Häufigkeit von Darmkrebs wie auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes (vgl. Lescinsky H., et al., Nature Medicine 2022). Eine Ursache/Wirkung-Beziehung ist hier also nicht ermittelt worden und es gilt: »Korrelation ist nicht gleich Kausalität«.

Biologische Kausalität

Umgekert gilt für Grundnahrungsmittel jedoch zunächst die »Unschuldsvermutung«: Fleisch jeglicher Art enthält hochwertiges Protein und liefert Mikronährstoffe wie Eisen, Zink und B-Vitamine in relevanten Mengen. Wie jedes Lebensmittel trägt es damit im Sinne der Definition von Ernährung zum Erhalt der Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Körpers bei. Die Wertigkeit tierischen Eiweißes und auch die Bedeutung von Mikronährstoffen für den menschlichen Körper sind bereits seit Jahrzehnten bis auf die biochemischen Mechanismen aufgeklärt. Die Ursache/Wirkung-Beziehungen (Kausalitäten) sind somit bekannt.

In der Betrachtung einer Kausalkette von der Befriedigung des Grundbedürfnisses Ernährung im Sinne ihrer Definition bis hin zur Entstehung einer funktionierenden Volkswirtschaft mit Sozial- und Gesundheitssystem steht die Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln daher an erster Stelle. Erst dann, wenn diese Bedingung erfüllt ist, sinkt die Kindersterblichkeit, steigt die Lebenserwartung und die Arbeitsproduktivität bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sind wiederum diese Voraussetzungen gegeben, ist die Entwicklung eines Sozialstaates überhaupt möglich. Diese Kausalketten sind aus der weltweiten Armutsforschung mit sehr hoher Evidenz belegt und von den Wirtschaftsnobelpreisträgern 2019 Esther Duflo und Abhijit Banerjee eindrucksvoll aufbereitet worden. Ein Zusammenhang zwischen der Lebenserwartung und der Höhe des Fleischkonsums wie auch anderer tieri-scher Lebensmittel kann demnach mit einer biologischen Kausalität zumindest teilweise belegt werden. Und auch der Einfluss weiterer Rahmenbedingungen wie Kalorienaufnahme, sozioökonomischer Status, Fettleibigkeit, Urbanisierung (Lebensstil) und Bildung wurde untersucht und es zeigte sich, dass der positive Einfluss des Fleischkonsums auf die Höhe der Lebenserwartung weiter relevant blieb.

Fazit: Fleisch verkürzt die Lebenserwartung … nicht

Die errechnete Lebenserwartung eines Staates wird stark durch die Kindersterblichkeit beeinflusst, sodass eine hohe Kindersterblichkeit auch bei höherer Lebenserwartung der erwachsenen Bevölkerung die durchschnittliche Lebenserwartung durchaus stark nach unten ziehen kann. Ein bedarfsdeckender Nährstoffstatus für alle Bevölkerungsgruppen ist daher aus den angeführten biologischen Kausalitäten die Grundlage, um überhaupt eine hohe durchschnittliche Lebenserwartung zu erreichen. Die Verfügbarkeit und der Konsum von Fleisch können dazu wesentlich beitragen. Ist dies gegeben, sind mögliche tödliche Endpunkte wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Todesfälle durch Krebs weitere Möglichkeiten, die durchschnittliche Lebenserwartung zu senken. Auch diese tödlichen Endpunkte stehen nicht in einem ursächlichen, also kausalem, Zusammenhang mit dem Konsum von Fleisch. Selbst unter der Annahme, dass eine Risikosteigerung stattfände, ist ein bevölkerungsweiter Effekt mit Bezug zum Fleischkonsum nicht in relevanter Dimension feststellbar. Im Gegenteil: Die absoluten Häufigkeiten von Dickdarmkrebs in Deutschland befinden sich laut dem Krebsregister des Robert-Koch-Instituts mit Ausnahme des aufsteigenden Teils des Dickdarms (gleichbleibende Häufigkeit) seit fast zwei Jahrzehnten sogar auf sinkendem Niveau. Die Todesfälle durch Dickdarmkrebs haben sich im gleichen Zeitraum fast halbiert. Ebenso sind Todesfälle durch Herzinfarkt laut der Todesfallstatistik der Gesundheitsberichterstattung der Länder (GBE) mit Ausnahme der durch Bluthochdruck bedingten Infarkte rückläufig. Der Konsum von Fleisch dagegen ist seit 1990 mit kleineren Schwankungen auf einem Niveau von etwa 60 kg pro Kopf stabil, demnach ist ein möglicher Einfluss des Fleischkonsum allenfalls als minimal zu bewerten.
Der in Abbildung A gezeigte Zusammenhang zur Höhe der Lebenserwartung in Abhängigkeit vom Fleischkonsum in mehr als 160 Ländern kann bis zum Jahr der ersten Erfassung dieser Basisdaten im Jahr 1961 zurückverfolgt werden. Wie Abbildung B zeigt, lässt sich der gleiche Zusammenhang in den gewählten 10-Jahres-Abständen mit hoher Stärke immer wieder darstellen, obwohl die unterschiedlichen Staaten jeweils vielfältigen ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Entwicklungen unterworfen waren. Abschließend bleibt damit festzustellen: Fleisch verkürzt das Leben offensichtlich nicht. Vielmehr gilt: Im Rahmen einer ausgewogenen Ernäh-rung ist Fleisch ein wertvoller Lieferant von Nährstoffen wie hochwertigem Protein, Eisen, Zink und B-Vitaminen.

Dr. Malte Rubach,
Ernährungswissenschaftler

 

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