Seit 1879 Lebensmittelindustrie und Milchwirtschaft

Keine Gas-Einsparverpflichtung für die Lebensmittelhersteller

4. August 2022

Agrar- und Lebensmittelbetriebe zunächst nicht von Zwangsmaßnahmen betroffen – Gasverbrauch soll im Zeitraum 1. August 2022 bis 31. März 2023 im Vergleich zu den vorangegangenen fünf Jahren um 15 Prozent sinken – Bei Engpässen greift nach Mehrheitsbeschluss der Mitgliedstaaten ein EU-Notfallplan – Einsparverpflichtungen dann verpflichtend.

Foto: pixabay

Die Produzenten von Lebensmitteln beziehungsweise Agrarrohstoffen und auch die Düngemittelhersteller in der Europäischen Union können vorerst etwas aufatmen. Den Beschlüssen des am Dienstag vergangener Woche (26.7.) in Brüssel tagenden Energieministerrates zum EU-Gas-Notfallplan zufolge sollen sie im weitesten Sinne von den Gaseinsparverpflichtungen ausgenommen werden. Dies dürfte im Agrarsektor vor allem die Sorgen der Molkereien und Schlachtunternehmen, aber auch die der Ferkelproduzenten dämpfen. Ebenso dürften jedoch die Ackerbauern mit Blick auf ihren Düngerbedarf erleichtert sein. Gemäß dem Kommissionsvorschlag für den EU-Gasplan müssen die Mitgliedstaaten „alle erforderlichen Anstrengungen“ unternehmen, um ihren Verbrauch dieses Energieträgers zwischen dem 1. August 2022 und dem 31. März 2023 im Vergleich zum selben Zeitraum der fünf Vorjahre um mindestens 15 % zu verringern. Dabei werden von der Kommission verschiedene Maßnahmen skizziert, mittels derer die Mitgliedstaaten den öffentlichen Sektor und Unternehmen, aber auch Haushalte zur Verringerung ihrer Gasnachfrage beziehungsweise ihres Gasverbrauchs anhalten können. So sollen beispielsweise öffentliche Gebäude nur noch bis maximal 19 Grad beheizt werden. Laut dem Beschluss der EU-Energieminister sollen die Verpflichtungen aber nicht für den Lebens- und Düngemittelsektor gelten. Weitere Ausnahmen soll es zudem für Länder in einer Insellage – Irland, Zypern und Malta – sowie für Mitgliedstaaten mit fehlendem Anschluss an das Gasverbundnetz – Spanien und Portugal – geben. Alle Mitgliedstaaten außer Ungarn stimmten der Einigung zu.

Sorgenvolle Blicke nach Deutschland

Nach dem Willen der EU-Kommission sollte das neue Rechtsinstrument es ihr erlauben, einen Unionsalarm auszurufen, und zwar entweder auf eigene Initiative oder auf Antrag von mindestens drei Mitgliedsländern. Ein solcher Alarm soll dann erfolgen, wenn „ein erhebliches Risiko einer gravierenden Gasknappheit“ besteht oder die Gasnachfrage außergewöhnlich hoch ist. Die Energieminister billigten diesen Passus, verschärften aber die Voraussetzung dafür: So soll eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten, die zusammen wenigstens 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren, für das Ausrufen eines Unionsalarmes erforderlich sein. Unterdessen wächst die Sorge, die Gasspeicher in Deutschland vor dem Winter nicht mehr hinreichend auffüllen zu können. Nach vorherigen Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin hat das Energieunternehmen Gazprom die Gasliefermenge in der Nord-Stream-1-Pipeline auf nur noch 20 % der maximal möglichen Menge gedrosselt. Zuletzt waren darüber zumindest noch 40% geliefert worden.

Kritik an den Ausnahmen

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums sieht die politische Einigung vor, dass die Mitgliedstaaten zunächst freiwillig ihre Gasnachfrage um 15 % reduzieren. Für den Fall, dass die Länder auf EU-Ebene eine Alarmstufe ausriefen, würde diese Reduktion der Gasnachfrage gesetzlich verpflichtend. Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck bezeichnete die Einigung als „starkes Signal an Putins Russland“. Europa lasse sich nicht spalten oder erpressen. Einen stärkeren Beitrag sollen laut Habeck auch die bestehenden Anlagen der erneuerbaren Energien leisten, um Erdgas aus dem Strombereich zu verdrängen, „vor allem bei der Biogaserzeugung“. Derweil hieß es aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament, man sei besorgt über die geplanten Ausnahmen. „Nur wenn wir als Union zusammenarbeiten, werden wir in der Lage sein, die Versorgungssicherheit für alle zu gewährleisten“, so der industriepolitische Sprecher der Fraktion, Christian Ehler. Die von den Mitgliedstaaten ausgehandelten Ausnahmeregelungen könnten die Kohärenz der EU-Bemühungen untergraben und die Botschaft der Einigkeit schwächen, die angesichts der russischen Aggression gebraucht werde, warnte der CDU-Politiker.

Aufatmen bei der EU-Agrarwirtschaft

Unterdessen wurde von der EU-Agrarwirtschaft die Übereinkunft, bei Erdgas EU-weit keine Einsparverpflichtung für Lebens- und Düngemittelhersteller aufzuerlegen, ausdrücklich gelobt. In einer gemeinsamen Erklärung begrüßten die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA), der Dachverband der europäischen Ernährungsindustrie (FoodDrinkEurope) sowie die Organisation „Primary Food Processors“ (PFP) den Beschluss der EU-Energieminister. Die Dachverbände gaben zugleich zu bedenken, dass jede Unterbrechung der Gasversorgung die Lebensmittel- und Futtermittelhersteller daran hindern würde, ihre Betriebe und Produktionsanlagen mit voller Auslastung zu betreiben. Dies würde sich auf die Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, Lebensmitteln und Getränken für die Verbraucher sowie von Futtermitteln für Tiere auswirken, und es bestünde „die ernste Gefahr von Engpässen“. Die Organisationen forderten die Energieminister dazu auf, die Agrar- und Ernährungswirtschaft in der nationalen Notfallplänen als kritischen Sektor anzuerkennen und sicherzustellen, dass die für die Lebensmittelproduktion – einschließlich Verpackung – kritischen Einrichtungen auch bei Engpässen nicht vom Netz abgekoppelt werden. Die Akteure in der europäischen Agrar- und Lebensmittelkette seien entschlossen, die Energieeffizienz ihrer Betriebe zu verbessern. AgE

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