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Tierarzneimittelgesetz: Kritik an Bürokratie und kurzen Umsetzungsfristen

31. Oktober 2022

Veterinärverbände kritisieren alleinige Meldepflicht des Antibiotikaverbrauchs durch Tierärzte im geplanten Gesetz – DBV bemängelt zu kurze Umstellungsfrist im Bereich Milchviehhaltung – Anhebung der Wichtungsfaktoren für länger wirkende Antibiotika könnte sinnvolle Therapien verhindern – Bei bereits deutlich gesunkenem Antibiotikaverbrauch wird die Maßnahmenpflicht für Tierhalter im vierten Quartil hinterfragt

Die von der Bundesregierung angestrebten Änderungen des Tierarzneimittelgesetzes (TAMG) zur Erfassung und Minderung des Antibiotikaverbrauchs sind bei der öffentlichen Anhörung im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft mehrheitlich als richtiger Schritt bezeichnet worden, doch es gab auch Kritik. Diese betraf vor allem die Umkehr der Meldepflicht vom Tierhalter auf den Tierarzt. „Wir lehnen die Übertragung der Meldeverantwortung ab“, erklärte die Vizepräsidentin der Bundestierärztekammer (BTK), Iris Fuchs. Neben dem Mehraufwand für die Veterinäre spreche dagegen auch, dass in der Praxis die von Tierärzten abgegebenen Mengen nicht unbedingt den von Tierhaltern angegebenen oder verbreichten Mengen entsprächen, da Behandlungen wegen des Todes von Tieren abgebrochen würden oder Packungsgrößen nicht genau zur benötigten Menge passten. Auch der Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) lehnt die Übertragung der Meldeverantwortung auf den Tierarzt ab. „Die knappe Ressource Tierarzt sollte besser genutzt werden als zum Abarbeiten von Bürokratie“, betonte Michael Schmaußer vom bpt. Zudem lägen viele der für eine korrekte Ermittlung der Therapiehäufigkeit notwendigen Daten dem Tierarzt zum Zeitpunkt der Meldungserstellung gar nicht vor. Zustimmung findet die Neuregelung jedoch beim niedersächsischen Landwirtschaftsministerium. Langfristig geplant sei, die Anwendung von Antibiotika auch bei nicht lebensmittelliefernden Tieren wie Pferde, Hund und Katze zu erfassen, erläuterte Dr. Heidi Kuiper. Bei diesen Tieren gebe es kein für die Tierhalter bestehendes Meldesystem, jedoch für die Tierärzte. Bereits heute würden die Daten zu mehr als 90 % nicht von den Tierhaltern, sondern von Dritten, in der Regel Tierarztpraxen, übermittelt.

Zeitliche Übergangfristen nötig

Der Fachbereichsleiter Vieh und Fleisch beim Deutschen Bauernverband (DBV), Roger Fechler, merkte derweil an, dass die vorgesehene Erweiterung des nationalen Antibiotikaminimierungskonzeptes auf neue Nutzungsarten vor allem die Milchviehbetriebe betreffe. Allein bei dieser Tierart seien fast 40 000 Halter mit ihren Tierärzten betroffen. Entsprechende Strukturen, Datenbankabläufe sowie deren Umsetzung durch Veterinäre und Landwirte seien derzeit aber noch unklar. Eine reibungslose Umsetzung der Meldevorschriften unmittelbar zum 1. Januar 2023 sei somit praktisch nicht möglich. Fechler: „Es bedarf der Einrichtung von zeitlichen Übergangsregelungen bis zur Festlegung einer verbindlichen Meldepflicht.“ Der DBV-Experte forderte zudem, die bei Überschreitung der Kennzahl 2 erforderlichen Maßnahmenpläne gegen zu hohen Antibiotikaverbrauch nicht mehr halbjährlich, sondern jährlich zu erstellen. Dafür spreche, dass die Maßnahmen häufig mehr als sechs Monate in Anspruch nähmen, Kapazitäten bei Landwirten, Tierärzten und Behörden geschont und auch eine Angleichung an die jährliche Ermittlung der bundesweiten Kennzahlen erfolgen würde.

Sinnlose Maßnahmenpläne?

Die Geschäftsführerin des Bundesverbandes für Tiergesundheit (BfT), Dr. Sabine Schüller, hält es für erforderlich, dass die kombinierte Anwendung der Wichtungsfaktoren bei ausgewählten antibiotisch wirksamen Stoffen, deren Wirkstoffspiegel mehr als 24 Stunden anhält, aufgehoben wird. Eine einmalige Behandlung könne sonst mit dem fünfzehnfachen Wert zu Buche schlagen. Dies würde der Entscheidung für eine veterinärmedizinisch angemessene Therapie eindeutig entgegenstehen und unerwünschte Ausweichbewegungen nach sich ziehen. Der Einzelsachverständige und Tierarzt Dr. Andreas Wilms-Schulze Kump wies darauf hin, dass der Antibiotikaeinsatz in den vergangenen Jahren schon deutlich zurückgegangen sei. Dennoch sollten auch in Zukunft die 25 % der Betriebe gemaßregelt werden, die im vierten Quartil lägen. „Damit werden viel zu viele Betriebe erfasst, die dann Maßnahmenpläne erstellen müssen, die fachliche nur wenig Sinn machen“; so der Experte. Es sei deshalb zu überlegen, ob nicht ein Wechsel zur reinen Beobachtung oder ein Absenken der Schwelle auf 10 % sinnvoller sei. Der Sachverständige Prof. Mathias Pletz vom Universitätsklinikum Jena regte im Kampf gegen die Resistenzbildung an, neben der Überwachung der heimischen Nutztierproduktion auch eine Kontrolle von importierten Lebensmittelbakterien, insbesondere bei Geflügel, Meeresfrüchten und Rohkost, durchzuführen. Das solle „zumindest temporär im Rahmen von Forschungsprojekten passieren“, bis eine ausreichende Datengrundlage existiere, die eine Verordnung rechtfertige. AgE

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