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Isermeyer: Energiewende nicht in Konkurrenz zur Ernährungssicherheit

16. November 2022

Thünen-Präsident Isermeyer:„Selbstversorgung mit Solarstrom“ auf vergleichsweise wenig Fläche möglich – Lotze-Campen mahnt zu Halbierung der Tierzahlen – Klimaziele erfordern Senkung des Fleischkonsums – Großes Nachhaltigkeitspotential in Präsizionsfermentation – Strategisches Forum der dafa „Landnutzung im Wandel“

Prof. Folkhard Isermeyer, Präsident Thünen-Institut Foto: Thünen-Institut

Der im Rahmen der Energiewende prognostizierte Bedarf an Solarstrom in Deutschland kann nach Einschätzung des Präsidenten vom Thünen-Institut, Prof. Folkhard Isermeyer, auf weniger Fläche erzeugt werden als derzeit für die Bioenergie aufgewendet wird. Die Energiewende stehe damit nicht in Konkurrenz zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit in Deutschland, führte Isermeyer am Dienstag voriger Woche (8.11.) beim Strategischen Forum der Deutschen Agrarforschungsallianz (dafa) zum Thema „Landnutzung im Wandel“ in Berlin aus. Der ebenfalls als Redner eingeladene Abteilungsleiter für Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Prof. Hermann Lotze-Campen mahnte indes an, dass die Einhaltung des 2 Grad-Zieles des Pariser Klimaabkommens nur bei einer Halbierung der Tierzahlen möglich sei. Ihm zufolge zeigten sämtliche langfristigen wissenschaftlichen Modellierungen, dass eine Reduzierung der Methanemissionen um 50 % und der Lachgasemissionen um 25 % notwendig seien, um die bereits beschlossenen Klimaziele bis 2050 zu erreichen.

 Vervierfachung des Strombedarfs?

Die zunehmende Elektrifizierung der Wirtschaft und des Verkehrs werden laut Isermeyer eine Vervierfachung der aktuell erzeugten Strommenge in Deutschland auf bis zu 2 000 TWh im Jahr erfordern. Im vergangenen Kalenderjahr wurden in Deutschland laut amtlicher Statistik 518 TWh Stromenergie eingespeist, wobei 42,4 % davon aus erneuerbaren Quellen stammten. Unter der Annahme, dass der zukünftige Strombedarf zu jeweils der Hälfte aus Wind- und aus Solarenergie gespeist würde, sei eine Gesamtleistung von 1 000 TWh Solarenergie pro Jahr notwendig, rechnete der Thünen-Präsident vor. Diese „Selbstversorgung mit Solarstrom“ könnte durch die Errichtung von Freiflächen-Photovoltaik-(PV)-Anlagen auf etwa 1 Mio ha erfüllt werden. Vor dem Hintergrund, dass derzeit rund 2,3 Mio ha landwirtschaftliche Nutzfläche für die Bioenergie genutzt würden, sei dies ein relativ geringer Flächenverbrauch, betonte der Thünen-Präsident. Sofern Bioenergie in Zukunft nicht mehr in großen Mengen als Energieträger gebraucht werde, würden damit nach der Umstellung auf Wind- und Solarstrom sogar weniger Agrarflächen für die Energieerzeugung genutzt als heute.

Zwei Windräder pro Dorf

Die verbleibende Stromnachfrage könnte nach Ansicht von Isermeyer durch Windenergie gedeckt werden. Vorausgesetzt, dass 70 % des Windstroms „on shore“ erzeugt würden, seien 70 000 Windenergieanlagen an Land mit jeweils 10 Wh Leistung im Jahr erforderlich. Diese Anzahl entspreche in etwa dem Bau von zwei Windrädern pro Dorf in Deutschland. Der Thünen-Präsident hält auf der Grundlage dieses Szenarios Landnutzungskonflikte im Landwirtschaftsbereich zwischen „Tank, Teller und Trog“ für lösbar. Von den heute 16,6 Mio ha Agrarfläche seien großzügig gerechnet lediglich 10 Mio ha notwendig, um die Bevölkerung in Deutschland zu ernähren, so der Agrarökonom.

Nächsten 30 Jahre entscheidend

Lotze-Campen zufolge gehen zwei Drittel der Emissionen des Agrarsektors auf das Konto der Tierhaltung. Für den Abbau der Tierbestände seien daher die nächsten 30 Jahre entscheidend. Lotze-Campen verwies dabei auf mögliche Synergien zwischen Klima- und Gesundheitsschutz. So sei der derzeitige Fleischkonsum von durchschnittlich 1,2 kg pro Person und Woche angesichts der Ernährungsempfehlungen der EAT-Lancet-Kommission von lediglich 0,3 kg pro Woche viel zu hoch. Eine Reduzierung des Fleischkonsums hält Lotze-Campen für steuerbar, und zwar mittels wirtschaftlicher Anreize, Regulierungen oder einer Emissionsbepreisung. Alternativ dazu könnten auch technologische Lösungen, wie die Präzisionsfermentation, bei der Substitution von tierischen Produkten eine Rolle spielen. Bei der Präzisionsfermentation werden laut Lotze-Campen Organismen wie Hefe verwendet, um echte Ei- oder Milchproteine herzustellen. Dies könnte helfen, die tropische Entwaldung zu reduzieren. Der Klimaforscher betonte zugleich, dass neben den Klimazielen auch die Umkehr des Biodiversitätsverlustes und der Abbau von Stickstoffüberschüssen zentrale Herausforderungen für die Transformation des Agrarsektors seien. Sämtliche Maßnahmen müssten vor dem Hintergrund erfolgen, dass auch für den Schutz der Artenvielfalt Flächen bereitzustellen seien. AgE

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