Seit 1879 Lebensmittelindustrie und Milchwirtschaft

Neues Gesetz für besseres Gleichgewicht in der Lebensmittelkette

27. Januar 2023

Ergänzung der ersten beiden Gesetze zur Stärkung der Erzeuger – Maßnahmen gegen Dumping-Preise und zur Begrenzung von Aktionen zur Verkaufsförderung sollen verlängert werden – Obergrenze für Logistikstrafen – Neue Vorgaben für den Fall gescheiterter Lieferverhandlungen – Widerstand von Handelsunternehmen

In Frankreich wird ein weiterer Anlauf unternommen, das Gleichgewicht zwischen den Akteuren in der Lebensmittelkette zu verbessern. Die Nationalversammlung verabschiedete in der vergangenen Woche in erster Lesung einstimmig einen Gesetzesvorschlag, mit dem die Vorgaben der ersten beiden Gesetze zur Stärkung der Erzeuger ergänzt werden sollen. Vorgesehen ist unter anderem, 2019 für drei Jahre eingeführte Maßnahmen gegen Dumping-Preise und zur Begrenzung von Aktionen zur Verkaufsförderung zu verlängern. Ferner soll eine Obergrenze für Logistikstrafen eingezogen werden, um unverhältnismäßig hohe Bußgelder für Lieferverzögerungen zu verhindern. Vor allem in den beiden vergangenen Jahren war vielfach über den Missbrauch von Logistikstrafen geklagt worden. Für Diskussionen sorgt indes vor allem eine Regelung, die im Falle eines Scheiterns von fristgerechten Lieferverhandlungen eine einmonatige Verlängerung unter Beteiligung eines Mediators vorsieht. Wenn auch dies nicht zum Erfolg führt, sollen gemäß dem Gesetzesvorhaben beide Parteien von vertraglichen Verpflichtungen befreit werden. Die neue Regelung soll nach derzeitigem Stand zunächst zwei Jahre erprobt werden. Aktuell müssen die Lieferanten bei einem Scheitern der Verhandlungen während einer Übergangsfrist weiter liefern, in der Regel zu den Preisen des Vorjahres. Der zuständige Berichterstatter Frédéric Descrozaille erklärte, derzeit sei die Rechtslage beim Scheitern von Verhandlungen zum Nachteil der Lieferanten. Ziel des Vorschlags sei es, die Kräfteverhältnisse wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Zurückhaltend zeigte sich die Regierung. Der für die Industrie zuständige beigeordnete Minister im Wirtschaftsressort, Roland Lescure, äußerte Vorbehalte. Er sieht die faktische Verlängerung der Frist für den Abschluss der Verhandlungen kritisch und befürchtet auch, dass die Kapazitäten für die Mediation nicht ausreichen.

Warnung vor Inflationsanstieg

Erheblicher Gegenwind für das Gesetzesvorhaben kommt von den Einzelhandelsketten. Aus ihrer Sicht wird das Gleichgewicht zugunsten der großen Lebensmittelhersteller verschoben. In einer gemeinsamen Erklärung warnten die Handelsunternehmen außerdem vor einem „dramatischen und dauerhaften“ Anstieg der Inflation. Nach ihrer Einschätzung wird die Neuregelung bezüglich des Scheiterns von fristgerechten Vertragsabschlüssen es vor allem den Lebensmittelkonzernen ermöglichen, dem Handel die Preise zu diktieren. Befürchtet werden Aufschläge von mehr als 30 %. Aus Protest boykottierten die Vertreter der Einzelhändler in der vergangenen Woche eine Sitzung des Ausschusses zu den jährlichen Lieferverhandlungen, was beim französischen Bauernverband (FNSEA) auf harsche Kritik stieß. Angesichts der aktuellen Herausforderungen müssten bei den Akteuren der Lebensmittelkette der Dialog und die gemeinsame Suche nach Lösungen im Vordergrund stehen, so der Verband. Stattdessen brüskierten die Händler alle übrigen Mitglieder des Ausschusses, darunter drei Minister und den zuständigen Ombudsmann. Laut FNSEA fühlt sich der Lebensmittelhandel durch das Gesetzesvorhaben bedroht. Die Unternehmen fürchteten das Ende ihrer marktbeherrschenden Position, aus der immer wieder Preissenkungen mit „zerstörerischen“ Folgen für die übrigen Akteure in der Kette durchgesetzt worden seien.

Warnung vor Auslistung

Einig ist sich der FNSEA mit der Organisation der Junglandwirte (JA) darin, dass mit dem Gesetz signifikante Verbesserungen erreicht werden. Die Bestimmungen der ersten Gesetze zur Stärkung der Erzeuger würden auf „intelligente“ Weise ergänzt, so die Agrarverbände. Es sei erfreulich, dass die zahlreichen Versuche der Einzelhändler, die Verabschiedung zu verhindern, gescheitert seien. Bei den Lebensmittelherstellern herrscht derweil keine Einigkeit. Die Dachverbände der Agrargenossenschaften (La Coopération Agricole) und Ernährungsindustrie (ANIA) sowie der Verband der Hersteller von verarbeiteten Lebensmitteln (Adepale) und die im Institut zur Erforschung und Vermarktung von Konsumgütern (Ilec) organisierten Markenhersteller unterstützen den Gesetzesvorschlag. Laut Adepale werden lediglich strukturelle Benachteiligungen für kleine, mittlere und mittelgroße Unternehmen beseitigt. Kein Hersteller habe ein Interesse an Preiserhöhungen, die von den Verbrauchern nicht bezahlt werden könnten. Differenzierter äußerte sich der Unternehmerverband (FEEF). Er warnte insbesondere die kleineren Lebensmittelhersteller vor den Gefahren einer möglichen Auslistung. Es könne gegebenenfalls mehrere Jahre dauern, wieder einen Platz in den Regalen zu erhalten. Anders sei das bei bekannten Markenprodukten, auf die der Einzelhandel kaum verzichten könne.

Einzelhandel profitiert

Die Verbraucherschutzorganisation „UFC – Que choisir“ erneuerte unterdessen ihre Kritik an der Maßnahme gegen Dumpingpreise. Beim Verkauf von Lebensmitteln im Einzelhandel muss der Preis bekanntlich um 10 % über dem Einstand liegen. Bereits bei der Einführung hatte die Organisation vor Mehrkosten für die Verbraucher zwischen 1,74 Mrd Euro und 4,98 Mrd Euro und dem Befeuern der Inflation gewarnt. Die Verbraucherschützer gehen nach wie vor davon aus, dass ausschließlich die Handelsunternehmen von der Maßnahme profitieren. Es handle sich um einen ungedeckten Scheck für die Landwirte, so UFC. Nach den Vorstellungen der Regierung erlaubt es die garantierte Marge den Händlern hingegen, die Erzeuger besser zu entlohnen und bei anderen Produkten die Preise zu reduzieren – beides ist allerdings bislang nicht dokumentiert. Zuletzt war die Maßnahme im vergangenen Juli im Rahmen der Diskussion um die hohe Inflation wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Auch Vertreter des Einzelhandels hatten ein Moratorium gefordert. Der Senat hatte seine Kritik ebenfalls erneuert und fehlenden Nutzen für die Landwirte und unerwünschte Auswirkungen auf die Preise geltend gemacht. Die Regierung war von ihrer Position allerdings nicht abgerückt. AgE

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